Die Marienerscheinungen in Marpingen und das königl. preuss. Inf.Regiment N°30

Im Härtelwald des saarländischen Dorfes Marpingen soll bereits mehrmals die Jungfrau Maria erschienen sein. Zuletzt wollen im Jahre 1999 drei Frauen Erscheinungen erlebt und entsprechende Botschaften erhalten haben. Mehr als 20.000 Menschen pilgerten damals an die Kapelle, die jedoch bereits im Rahmen früherer Erscheinungen errichtet wurde. Jedoch wurde eine Übernatürlichkeit der Erscheinungen bis heute nicht von der katholischen Kirche anerkannt.

Doch zurück ins Jahr 1876 zu einer tragischen Geschichte:

Drei achtjährige Mädchen berichteten, dass ihnen im Härtelwald die Jungfrau Maria erschienen sei. Diese Berichte lockten bereits wenige Tage später tausende von Pilgern an. Bald häuften sich Berichte über weitere Sichtungen und Wunderheilungen. Die Erscheinungen erregten europaweites Interesse, Marpingen galt als deutsches Lourdes. (In Lourdes war 1858 der 14-jährigen Bernadette Soubirous eine Gestalt erschienen, die sich im Laufe von achtzehn Visionen als Unbefleckte Empfängnis zu erkennen gab. Lourdes wurde in der Folge zu einem bedeutenden Wallfahrtsort.)

Die katholische Kirche in Deutschland hatte 1848 beschlossen, den Glauben der dt. Katoliken zu erneuern und zu stärken. Sie stand hierbei in Konflikt zu Vertretern der protestantischen Kirche, weshalb die katholische Kirche in ihrem Kampf um den Einflusserhalt des Religiösen in Öffentlichkeit und Politik sowie dem Primat von Kirche und Religion über Staat und Wissenschaft alleine stand.
Marpingen selbst war bis Mitte des Jahrhunderts ein ländlich strukturiertes Dorf, welches 1834 vom katholischen Fürstentum Lichtenberg an das protestantische Preußen verkauft wurde. Das Dorf zählte jedoch im Jahre 1875 1.622 Einwohner, die nahezu alle römisch-katholischen Glaubens waren. Innerhalb einer Generation wurden 50% der Bewohner zu sog. Bergbaubauern, welche unter der Woche in regionalen Kohlezechen arbeiteten und in kasernenähnlichen Schlafhäusern wohnten. 1873 wurde die Situation durch die sog. Gründerkrise verschärft, es kam zu Entlassungen, Erhöhung der Arbeitszeit bei gleichzeitigen Lohnkürzungen. Durch den Kulturkampf zwischen protestantischem Staat und katholischer Kirche war jedoch der Trierer Bischof, sowie weitere 250 Priester vor Gericht gestellt und 230 von 741 Priesterstellen in der Diözese vakant. Während dies in der Nachbargemeinde Namborn zu einer der schwersten Kulturkampf-Konflikte in der Diözese Trier führte, war seit 1864 Jakob Neureuter Gemeindepfarrer in Marpingen. Gewalt blieb in Marpingen aus, jedoch lies sich ein Gefühl der Verlassenheit und der Verzweiflung erkennen. Viele sehnten sich nach einem göttlichen Eingreifen, als den 3 Kindern, alle aus ärmlichen Verhältnissen stammend, beim Heidelbeerpflücken am 03. Juli 1876 eine weiße Frau erschien.
Die wiederholten Erscheinungen stießen zunächst auf elterliche Skepsis, bald jedoch auf große Resonanz unter den Bewohnern Marpingens. Sie schmückten den Härtelwald mit Blumen, hielten Nachtwachen und errichteten ein grosses Kreuz. Als 5 weitere Personen ebenfalls über Erscheinungen berichteten, gab es von 1600 Einwohnern in Marpingen nur 8 Skeptiker. Am 12 Juli gab es bereits 20.000 Besucher, sodass die Versorgung des Dorfes problematisch wurde. Der Pilgerstrom hielt dann über die folgenden 14 Monate an und auch zahlreiche Prominente, wie Prinzessin Helene in Bayern und die 1874 zum Katholizismus übergetretene Marie Friederike von Preußen sowie viele internationale Besucher fanden sich ein.

Die katholische Kirche hielt sich zuerst zurück, eine kanonische Untersuchung sollte Klarheit schaffen. Pfarrer Neureuter stand dadurch besonders unter Druck. Die überwiegend liberale Presse stand der Marienfrömmigkeit ablehnend gegenüber, trotzdem nahmen die Erscheinungen in der Presse einen verhältnismäßig breiten Raum ein. Dadurch wurden die Erscheinungen jedoch noch weiter publik gemacht. Papst Pius IX.hatte mit der Enzyklika Quod nunquam die deutschen Katholiken zum passiven Widerstand gegen die preußischen Kulturkampfgesetze aufgefordert. Die nun folgende Eskalation in Marpingen ist daher eher auf das Verhalten einzelner Beamter zurückzuführen, die die Marpinger Marienerscheinungen von Beginn an als gezielten Betrug und schweren Landfriedensbruch gewertet hatten.

Die Vorgänge vom 13.Juli
Kreissekretär Hugo Besser erschien am 13.Juli in Begleitung des Alsweiler Bürgermeisters und zweier Gendarmen in Marpingen und befahl der betenden und singenden Menge sich zu zerstreuen. Nachdem dies keine Wirkung zeigte, forderte er die Hilfe des Militärs an. Die 8.Kompanie des königlich preußischen Infanterieregimentes N°30 (4.rheinisches) unter Hauptmann Fragstein-Riemdorff traf gegen 8Uhr abends ein, um das Gelände zu räumen und eine Ausgangssperre zu verhängen. Nach einem Trommelwirbel forderte der Hauptmann die Menge (zwischen 1500-4000 Menschen) erneut auf, sich zu zerstreuen. Doch auch dies zeigte keine Wirkung, weshalb er den Befehl zum Aufpflanzen der Bajonette gab und zwei Züge gegen die Menge vorschickt. Dabei wurden sechzig Zivilisten durch Schläge mit Gewehrkolben und vereinzelt sogar durch Bajonettstöße verletzt. Bei der späteren Gerichtsverhandlung sagten sowohl Hauptmann Fragstein-Riemsdorff als auch ein weiterer Offizier unter Eid aus, dass es keinen direkten Widerstand der betenden Menge gegen die Räumung gegeben hätte. Zu blutigen Zwischenfällen kam es weiterhin in den späten Abendstunden, als etwa dreißig Männer am Rand des Waldes die Soldaten verhöhnten und beschimpften. Ein auf Streife befindlicher Feldwebel wurde angegriffen, der Feldwebel gab daraufhin mehrere Schüsse auf die fliehenden Männer ab, wobei einer am Arm getroffen wurde. Die anschließende Einquartierung der Soldaten im Dorf und die Requisition von Lebensmitteln und Futter für die Pferde des Regiments verlief in ähnlicher Weise. Als der Marpinger Ortsvorsteher Jakob Geßner den Hauptmann darauf hinwies, dass das Dorf nicht über den verlangten Hafer verfüge, beleidigte der Hauptmann den Ortsvorsteher zunächst, packte ihn dann am Kragen und würgte ihn. Erst am 28. Juli wurde die Kompanie auf Befehl der Obersten Heeresleitung für die Rheinprovinz wieder abgezogen. Zur Kontrolle des Dorfes wurden statt ihrer in Marpingen zusätzliche Gendarmen aus dem ganzen Rheingebiet stationiert.

Strafrechtliche Untersuchungen und erstes Nachspiel

In der Folge kam es zu strafrechtlichen Untersuchungen der Marpinger, wobei die Verhöre der preussischen Offiziellen darauf hin ziehlten, die „Mechanik des Betruges“ zu entdecken. So wurde untersucht, wer den Kindern Geld angeboten habe, wer die Rolle der Jungfrau Maria im Wald gespielt haben könne und wer dazu beigetragen habe, die Visionen so publik zu machen. Als jedoch im September 1876 immer noch keine verwendbaren Ergebnisse vorlagen, wurde der Berliner Detektiv Leopold Friedrich Wilhelm Freiherr von Meerscheidt-Hüllesem vom preußischen Innenminister nach Marpingen gesandt, um verdeckt zu ermitteln. Er wurde mit falschen Papieren ausgestattet, um als James Marlow aufzutreten, einem irischen Reporter des New York Herald. In Marpingen versuchte er unter anderem durch Hetztiraden auf die preußische Polizei die Marpinger Bevölkerung davon zu überzeugen, dass er auf ihrer Seite stünde. Der Detektiv wurde daraufhin von Gendarmen festgenommen, jedoch erregte er mit seinem übertriebenen Verhalten sehr früh Misstrauen unter den Marpinger Einwohnern. Seine dubiosen Untersuchungsergebnisse überzeugten schließlich auch die örtlichen Justizbehörden nicht. In seinem ersten Bericht über Marpingen bezeichnete der Detektiv die Marpinger als „franzosenfreundlich“ und empfahl, zwei der minderjährigen Seherinnen in eine Irrenanstalt einzuliefern.

Die Krise weitet sich aus

Eine neue Phase der Repressalien begann, Pfarrer Jakob Neureuter wurde am 27. Oktober 1876 verhaftet und nach Saarbrücken gebracht. Weitere Verhaftungen folgten und die drei 8jährigen Mädchen, denen die Jungfrau erschienen war, wurden in Besserungsanstalten eingeliefert, da man sie für schuldig befand, die öffentliche Ordnung bedroht, groben Unfug getrieben und sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft zu haben. Den Eltern wurde zunächst vorgetäuscht, ihre Kinder würden erneut verhört werden...die Kinder sollten nicht mehr zu ihren Eltern zurückkehren!!!
Der Härtelwald wurde großräumig gesperrt und die Gendarmerie ab Februar 1877 durch das Jägerbataillon N°8 verstärkt. Das Betretungsverbot des Waldes wurde rigide umgesetzt, allein zwischen dem 6. August und dem 2. September 1877 kam es zu insgesamt 86 Anzeigen, die mit teils empfindlichen Geldstrafen abgehandelt wurden. Da in Marpingen eine finanzstarke Bürgerschicht völlig fehlte, regte sich erst spät Gegenwehr. Der Regierungspräsident erliess im Gegenteil eine Bekanntmachung, wonach die Kosten für die Einquartierung der Armee in Marpingen in Höhe von 4.000 Goldmark über eine lokale Steuererhöhung durch das Dorf zu tragen sei. Aussenstehende der Zentrumspartei wie Edmund Prinz von Radziwill traten stattdessen für die Marpinger ein, indem er unter anderem Beschwerde beim Justizministerium in Berlin einreichte, um gegen die Einsperrung der Kinder zu protestieren. Langsam setzte sich die Gerechtigkeit durch, inhaftierte Visionäre wurden entlassen, am 01.Dezember 1876 kam Pfarrer Neureuter frei, am 20.Dezember wurde der Gemeindeförster, der marpinger Feldhüter und die Spenderin des Härtelwald-Kreuzes freigelassen. Einen noch größeren Gesichtsverlust bedeutete es für den preußischen Staat, als der wegen Verleumdung der preußischen Armee angeklagte Matthias Scheeben am 14. April 1877 freigesprochen wurde. Basis der Anklage war Scheebens Artikel, in dem er festgehalten hatte, die Armee habe sich in Marpingen wie in Feindesland verhalten. Die Zuchtpolizeikammer in Köln kam zu dem Ergebnis, dass Scheebens Behauptungen im Wesentlichen der Wahrheit entsprochen hätten und stellte darüber hinaus fest, dass sich Hauptmann Fragstein-Riemsdorff und seine Offiziere schwer kompromittiert hätten. Die zuständige Appellationskammer des Kölner Landgerichts bestätigte knapp einen Monat später das Urteil erneut.

Weiterer Widerstand der offiziellen Stellen
Doch trotz eindeutiger Gerichtsurteile weigerten sich die zuständigen Verwaltungsbehörden bis hin zur Provinzregierung in Koblenz, die verschiedenen über Marpingen verhängten Maßnahmen zurückzunehmen. Schließlich landeten die marpinger Vorfälle sogar im preußischen Landtag und führten dort zu einer 5stündigen Debatte! Der Vertreter des Innenministers führte aus, dass ohne staatliches Eingreifen sich die Wallfahrten nach Marpingen zu einer Aufruhrbewegung hätten entwickeln können und verteidigte damit die Hinzuziehung des Militärs als korrekt. Im März 1879 kam es zum letzten Prozess, in dem viele marpinger Beteiligte erneut angeklagt wurden, jedoch endete dieser Prozess sämtlich mit Freisprüchen. Im April 1879 wurden endlich alle Gendarmen abgezogen.

Das Ende

Die 3 Mädchen wurden im Mai 1878 in einem Kloster in Echternach aufgenommen, wo die katholische Kirche nun die Erscheinungen untersuchte und zu dem Ergebnis kam, dass die Erscheinungen als unwürdig anzusehen seien. Da es in Trier jedoch immer noch kein neuen Bischof gab, der eine vollständige Aufarbeitung der Erscheinungen veranlassen konnte, entschied man sich, die Untersuchungen unter Verschluss zu halten. Die 3 Mädchen lebten daher weiter in klösterlicher Abgeschiedenheit!!

Keines von ihnen erreichte ein hohes Lebensalter: Susanna Leist starb mit 14 Jahren nach einer schweren Krankheit. Katharina Hubertus starb als Schwester Hugolina mit 36 Jahren im Jahr 1904 in einem Aachener Kloster. Margaretha Kunz verfasste sie im Januar 1889 ein umfassendes handschriftliches Geständnis, das mit den Worten beginnt: „Ich bin eines der drei Kinder, die vor beinahe dreizehn Jahren in Marpingen das Gerücht ausstreuten, die Mutter Gottes gesehen zu haben und muss leider das tief demütigende Geständnis machen, dass alles ohne Ausnahme eine einzige große Lüge war“. Sie starb als Schwester Olympia mit 37 Jahren in einem niederländischen Kloster.

1880 wurde vermeldet, dass mehrere Offiziere des 4. Rheinischen Infanterieregimentes in Saarlouis am 2. März 1880 mit Pension zur Disposition gestellt wurden. Dazu zählten neben dem Oberst von Schön, dem Kommandanten des 4. Rheinischen Infanterieregiments auch Hauptmann Fragstein-Riemsdorff.

Somit endete diese Geschichte, die ihre Kreise bis in die ferne Regierung in Berlin zog, für viele der Beteiligten sehr tragisch und aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar.