Die Epoche von Nachtigall: Einsatz im Krieg 1870/71


In der Regimentsgeschichte darf auch ein Name nicht fehlen: General der Infanterie von Nachtigall. Er wurde am 04.Oktober 1828 in Ottmachau in Schlesien geboren. Am 13.Juni 1843 trat er als Avantageur in das kombinierte lübisch-bremerische Bataillon ein, wo er am 13. Oktober 1844 zum Portepeefähnrich avancierte. Er nahm an den Konzentrierungen des 10. Bundesarmeekorps und der oldenburgisch-hanseatischen Brigade im Jahre 1843 und 1846 teil und erhielt nach Erlangung des Zeugnisses der Reife zum Offizier am 1. Oktober 1847 die Beförderung zum Sekondeleutnant. Nachtigall wurde am 10.Oktober 1851 dem bremischen Bataillon zugewiesen und dessen Adjutant. Am 12. Oktober 1852 wurde er Premierleutnant. Schon nach 9 Jahren Dienstzeit wurde er am 02. Februar 1857 zum Hauptmann und Kompagniechef befördert. Am 19. März 1865 sah man ihn als Militärbevollmächtigten bei der Militärkommission der hohen deutschen Bundesversammlung zu Frankfurt a. M. im Range eines Majors und nicht etatmässigen Stabsoffiziers.

Im deutsch-deutschen Krieg 1866 erhielt er in der Schlacht bei Werbach auf Hannoverscher Seite seine Feuertaufe…unter den Augen und in enger Berührung mit dem preußischen Regiment auf der Gegenseite, welches er selbst in wenigen Jahren führen sollte. Nach der Niederlage Österreichs und der Gründung des norddeutschen Bundes, wurde Nachtigall zur Dienstleistung beim Garde-Korps unter Oberst von Werder kommandiert. Mit diesem in freundschaftlichem Verhältnis stehend, wurde er am 25. September 1867 als Bataillonskommandeur zum 5.rheinischen Inf.Regiment Nr.65 nach Köln versetzt. Schon am 22. März 1868 wurde er weiter zum Oberstleutnant befördert.

In der Nacht vom 15. Zum 16. Juli 1870 wird er vom Bataillonsschreiber mit der Meldung geweckt: “Herr Oberstleutnant, die ganze Armee wird mobil”. Am 22. Juli erreichte ihn dann die Order, für die Dauer des mobilen Verhältnisses das Kommando über das 4.rheinische Infanterie-Regiments Nr.30 in Mainz zu übernehmen. Sofort reiste er ab.

Die Verhältnisse beim Regiment waren nicht einfach. Nur teilweise war es in Kasernen untergebracht, die meisten Kompagnien lagen in Festungswerken. Die Unterbringungsräume waren alle knapp. Und aus dem Ersatzbezirk des Regiments, von der Saar, der Mosel und aus dem Birkenfeldschen waren die Wehrpflichtigen zum Regiment geeilt. Viele mussten wieder heim geschickt werden, da die Kopfzahlen die etatmässigen Sollzahlen weit überschritten. Doch am 29. Juli konnte Nachtigall sein feldmarschmässig ausgerüstetes und marschbereites Regiment dem Inspekteur der Besatzungstruppen von Mainz, Generalleutnant v. Kummer, vorführen. Doch zuerst musste das Regiment in den Festungswerken zum Schutz des Königs verbleiben und führte vorrangig Armierungsarbeiten durch. Mainz war der Sitz des großen königlichen Hauptquartiers. Se.Majestät besuchte daher auch öfter das Offizierskasino des 30.Regiments.

Nach den Siegen bei Weissenburg und Wörth, als die Gefahr einer französischen Invasion vorläufig gebannt schien, wurde das Regiment sofort in Richtung Straßburg in Marsch gesetzt.

Da die Bahnlinie durch die 3. Armee komplett in Anspruch genommen war, wurde kurz entschlossen der Wasserweg nach Mannheim gewählt. Weiter ging es in großer Hitze zu Fuß Richtung Hagenau und weiter nach Straßburg. Bei der Einschließung und Belagerung von Straßburg erwarb sich das Regiment dank der umsichtigen Führung Nachtigalls bald den Ruf, eine Elitetruppe des Belagerungs- und später des 14. Armeekorps zu sein.

So hatte es am 30.August seine Vorposten bis auf 400, an einzelnen Stellen sogar bis auf 250 Schritte an das Glacis der Festung herangeschoben. Die Musketier-Bataillone des 30.Regiments gingen in der 8. Abendstunde zu beiden Seiten des Kirchhofs St.Helena vor. Diese Stellung konnte bis zum Morgen gehalten werden und die dortige Stellung mit gewöhnlicher Sappe weiter befestigt werden. Das Füsilier-Bataillon des Regiments konnte daher seine vorgeschobene Stellung räumen; die Laufgräben wurden durch die Bedeckungstruppen besetzt.

Am 1.September warf das 2.Bataillon der 30er den von Contades über die Insel Wacken vordringende Feind wieder in den Schutz der Festung zurück. Die Verluste der Belagerer beliefen sich bis dahin auf ca. 150 Mann, die Festungsbesatzung verlor 2 Offiziere und 142 Mann. Der französische Festungskommandeur Géneral Uhrich telegraphierte am nächsten Tag an den französischen Kriegsminister: "Diesen Morgen ehrenvoller Ausfall, aber theuer erkauft und kein anderer Erfolg, als dem Feind Achtung eingeflösst". Die 30er, namentlich die 3. und 4. Kompagnie, bildeten auch die Speerspitze beim Übergang über den Rhein-Ill-Kanal am 11. September und konnten den Feind aus der Straßburger Orangerie vertreiben. 3 Tage später konnte unter dem Schutz von 2 Füsilierkompagnien der 30er, eine Schiffsbrücke über den kleinen Rhein geschlagen und durch einen Brückenkopf gesichert werden. So wurde die Sporeninsel bis zur Chaussee und Eisenbahn von Kehl nach Straßburg feindfrei.

Nachdem am 27.September von deutscher Seite aus eine Bresche im Hauptwall gangbar gemacht worden war, ebten die Kampfhandlungen merklich ab. Eine Verteidigung war unter diesen Umständen nicht möglich, da durch das massierte Geschützfeuer keine Bereitstellung verteidigender französischer Truppenkontingente in diesem Bereich möglich war. Der Verteidigungsrat schlug daher Kapitulationsverhandlungen vor. Am 27.September gingen 500 Offiziere, über 17.000 Unteroffiziere und Soldaten von verschiedenen französischen Linientruppen und Mobilgarden in die Kriegsgefangenschaft. Mit der Stadt und der Festung, welche neben Metz als die 2.Stärkste Frankreichs eingeschätzt wurde, fielen die Geldbestände der Staatsbank, etwa 1200 Geschützrohre, 800 Lafetten, über 200.000 Handfeuerwaffen und ansehnliche Munitionsvorräte in die Hände der deutschen Armeeverbände. Die französische Besatzung marschierte nun aus Straßburg heraus; an ihrer Spitze befanden sich zu Fuß die Generale Uhrich und Barral, Konter-Admiral Exelmans und mehrere andere höhere Offiziere. Der beginnende Vorbeimarsch der kriegsgefangenen Truppen geschah anfänglich in ziemlicher Unordnung. Manche Soldaten, welche in dem Gewirre den Ofizieren den Gehorsam verweigerten, zerschlugen ihre Waffen und warfen sie in die Festungsgräben.

Während in dieser Weise die französische Besatzung aus dem Nationaltor ausrückte und dann unter Bedeckung von zwei Schwadronen und zwei Bataillonen nach Rastatt abgeführt wurde, zog das königlich preussische Infanterieregiment Nr.30 durch das Fischertor, das badische Leibregiment durch das Austerlitzer-Tor in Straßburg ein. Nach der Kapitulation Straßburgs konnte Nachtigall 4 eiserne Kreuze beim Regimentsappell verteilen, er selbst erhielt es am 04. Oktober 1870. Am 30. September vormittags hielt General v.Werder, in Begleitung von Abteilungen aller Waffen, seinen feierlichen Einzug in die Stadt, deren Bürgerschaft eine durchaus friedliche Haltung an den Tag legte.

Nach Straßburg folgte nun der bewegende Feldzug des Werderschen Korps, welches zum neuen 14.Armeekorps zusammengefasst wurde. Von Nachtigall kommandierte bald nicht nur sein Regiment, die 30er, sondern auch noch einige Batterien oder Schwadronen. Ihm folgte die Truppe wohin er wollte. So brachte er auch den stockenden Angriff bei Rambersvillers wieder in Schwung. Die preussischen Truppen hatten am 9.Oktober Raon l´Etape erreicht und von dort aus die Musketierbataillone des Regiments Nr.30 nebst einer Schwadron Husaren zur Aufklärung des Mortagne-Thales nach St.Benoit entsandt. Die auf Rambersvillers zurückgehenden französischen Truppen wurden von der 7.Kompagnie unter lebhaftem Feuer aus dem Kirchhof vertrieben. Die 5. und 8 Kompagnie der 30er überstiegen nach heftigem Feuergefecht die Strassensperren an den Eingängen des Dorfes. Im Dorf Rambersvillers selbst leistete der Feind jedoch so hartnäckigen Widerstand, dass der Angriff an Schwung verlor. Doch am nächsten Morgen konnte das Dorf komplett besetzt werden, wobei Major v. Berckefeld schwer verwundet wurde. Die Deutschen büßten 30 Mann ein, die Franzosen verloren 60 Mann.

Als die Preussen mit ihrer Spitze über Deyvillers hinaus gelangt waren, zeigten sich französische Truppen in Bruyéres. Das 1.Bataillon des Regiments Nr.30 drängte jedoch die am Waldrand südlich der Straße Widerstand leistenden Franctireurs auf Epinal zurück. Nach der Einnahme von Epinal konnten sich die deutschen Streitkräfte des 14.Armeekorps wieder vereinigen. Beim weiteren Marsch in Richtung Besançon zu, kam es dann am Ognon am 22.Oktober an einer französischen Stellung bei Chatillon le Duc zu einem recht hartnäckigen Kampf. An diesem nahmen die badischen Regimenter Nr.3 und 4 , sowie unser preußisches Regiment Nr. 30 teil. Dieses besetzte hier den Übergangspunkt bei Bussiéres. Das 2.Bataillon wurde weiter östlich auf Chatillon gesandt. Hier überquerte es einen sich lang hinziehenden Wiesengrund und drang trotz heftigen Feuers der feindlichen Infanterie und Artillerie nach Erreichen des Höhenfußes allmählich gegen das Bois de Chailloz vor.

Das 1.Bataillon der 30er und 3 Kompagnien des 3.badischen Regiments gingen über Geneuille gegen das feindlich besetzte Bois de Bauvereille vor. Die feindlichen Truppen mussten sich zurückziehen. Nachdem sämtliche Übergänge über den Ognon genommen waren und die Franzosen auf das Gebiet der Festung Besancon zurückgeworfen waren, wurde das Gefecht mit einem Verlust von 120 Mann beendet. Die Franzosen verloren 150 Mann und 200 Gefangene. Nach dem Gefecht am Ognon suchte General von Werder den Kommandeur von Nachtigall persönlich auf, um ihm seinen Dank für die Tapferkeit des Regiments auszusprechen.


Am 5.November stießen zwei von Gray gegen Dôle entstandte Füsilierkompagnien, nämlich die 6.und 10.Kompagnie des 30.Regiments, südlich von Le Tremblois auf ansehnliche Kräfte des Gegners. Nachdem die 6.Kompagnie den von Germigney vorbrechenden, etwa 300 Mann starken Feind zurückgeworfen hatte, zog sich die ganze Abteilung nordwärts der Höhe von Esmoulins zusammen, um dem von Apremont her drohenden Angriff entgegenzutreten. Ein solcher erfolgte indesssen nicht, der Gegner zog sich wieder zurück.

Am 09. Januar 1871 führte von Nachtigall die 30er am Tage der Schlacht bei Villersexel. Die Franzosen bedrohen den rechten Flügel der vorrückenden Reservedivision. Doch kam hier die Brigade v.d. Goltz den Verteidigern des Dorfes Momay auch mit ihren Geschützen zu Hilfe. Die 9. Komp. der 30er wurde daher nach Villersexel gesandt um die 4. Reservediv. abzulösen. So konnte mittels der 25er und einer badischen Brigade das Dorf gegen den folgenden Ansturm gehalten werden, obwohl die Angreifer kurzzeitig in das Dorf eindringen konnten.

Am 13.Januar hielt von Nachtigall mit den 30ern gegen überlegene und immer wieder wild vorstürmende Gegner bei Chavanne felsenfest aus und kommandierte sie todesmutig auch in dichtestem Kugelhagel in der dreitägigen Schlacht an der Lisaine.


Der Feldzug neigte sich dem Ende zu…es folgte nur noch die äusserst anstrengende Verfolgung der Ostarmee unter Bourbaki durch den hohen Jura bis an die schweizer Grenze. Der Zustand des Regiments war kein prunkener mehr: “Aber jetzt mein Regiment sehen! Trauriger Zustand! Hosen von Bauern, Franktireurs und Mobilgarden, (nur keine roten Hosen), zerrissene Stiefel, Leute welche gefahren werden müssen, weil sie kein Schuhzeug mehr haben, die Mäntel zerrissen, verbrannt am Biwakfeuer, nichts geputzt, dabei aber doch Frisch und bei der Hand”. “Die Ausdauer unserer Leute ist wahrhaft rührend! Nach viermeiligem Marsch liess ich in Poligny das 2.Bataillon bei mir nach der Musik vorbeimarschieren und trotz zerrissener Hosen und Stiefel marschierte das Bataillon so stolz und schön, dass alle Welt entzückt war.- Ja gegen unsere Truppen können die Franzosen nichts machen, ihre jetzige Armee fliegt wie Spreu davor auseinander. Unsere Offiziere sind wahrhaft glänzende Muster auch im Ertragen von Beschwerden. Ich habe sie mit Gewalt fort schicken müssen, wenn sie mit erfrorenen Gliedmaßen sich weiter schleppten oder mit kaum geheilten Wunden wieder zum Regiment kamen. Ich habe rund heraus erklärt, sie verdienen alle das eiserne Kreuz! –Man muss dies alles erleben,um zu erfahren, wie schwer es ist, zur Verleihung von Dekorationen Vorschläge zu machen.-Die Offiziere zeichnen sich alle aus und gehen mit einer Rücksichtslosigkeit drauf, welche Se. Majestät schon zu mehrfachen ernsten Ermahnungen veranlasste.”

Am 10. Dezember hatte General von Werder dem erfolgreichen Kommandeur das ihm am 03. Dezember verliehende Eiserne Kreuz 1.Klasse persönlich überreicht, am 18.Januar wurde er zum Oberst befördert, im März wurde er wegen seiner hervorragenden Verdienste in den erblichen Adelstand erhoben. 36 eiserne Kreuze wurden dem Regiment noch am Schluss des Krieges verliehen.

General v.d.Goltz gibt folgendes Urteil ab: “Dass das 30. Regiment nicht allein in taktischer und disziplinarischer Beziehung Alles geleistet, was nur möglich, sondern dass dasselbe auch durch die ausgezeichnete Führung seines Regiments-Kommandeurs während des Feldzuges die schwierigsten Aufgaben, zu denen es ganz besonders ausgesucht wurde, jedes mal zur größten Zufriedenheit geleistet habe.” Und nach Jahren schrieb er an den Kommandeur: “Und gestatten Sie mir, dass ich es aussprechen darf, ihr Regiment in seiner Tüchtigkeit wird mich immer daran erinnern, was ein braves, gut geschultes, gut diszipliniertes Regiment in der Hand eines gewandten Kommandeurs im Kriege leisten kann.”

Am Tage des Einzuges der Truppen in Berlin, am 16.Juni 1871 ernannte der König den Feldherrn General von Werder zum Chef des Regiments. Dieser allerhöchste Gnadenbeweis war eine um so größere Anerkennung, als Se. Majestät der König damit einem Wunsch des Feldherrn entsprochen hatte. Am 15. Januar 1887 wurde Exzellenz von Nachtigall der Rang eines kommandierenden Generals und der rote Adlerorden 1.Klasse mit Eichenlaub und dem Emailbande des Kronenordens mit Schwertern am Ringe verliehen. Am 3. Oktober 1887 nahm er seinen Abschied und verstarb am 17. April 1890.